Weiße Weihnachten

Nachrichten aus Umtata, Teil zwölf, oder: Wenn die Stadt für einen Tag alleingelassen wird

Weihnachten trifft sich Umtata am Strand. In Autos und Bussen, auf den Ladeflächen von Lastern und Pickups verläßt wer kann die windige Hochebene, um sich hundert Kilometer weiter und tausend Meter tiefer wiederzutreffen. Im tropischen Port St. Johns wird Grillfleisch gebrutzelt, mit Dosenbier heruntergespült und der Dusel mit einem Bad in den kühlen Wellen des Indischen Ozeans bekämpft. Noch in der Nacht bricht der Treck wieder auf, schlängelt sich die Serpentinen hinauf und verteilt sich auf die Häuser Umtatas.

Länger als ein paar Stunden dürfen die nämlich Weihnachten auf keinen Fall aus den Augen gelassen werden. In Umtata hat jeder eine erschreckende Geschichte parat, wie über die Feiertage aus einem voll eingerichteten ein völlig leergeräumtes Haus wurde. Zum Beispiel Dixie. Ihre Nachbarn hatten zwar den großen Möbelwagen gesehen, der vor ihrem Haus parkte und auch die Männer beobachtet, wie sie Möbel, Fernseher, Geschirr und Küchengeräte aufluden. Aber gerade weil das alles am hellichten Tag und unter den Augen der Nachbarn geschah, glaubten sie an einen überraschenden, aber nichtsdestotrotz normalen Umzug.

"Ich kann doch mein Haus in diesen Tagen nicht alleine lassen", antwortet Dixie seitdem jedem, der sie nach ihren Plänen für die Weihnachtsferien fragt, "ich bleibe in Umtata."

Was jedoch nicht unbedingt vor den Festtags-Dieben schützt. Davon kann Laureen erzählen. An einem Heiligabend vor ein paar Jahren hatte sich die Familie um Mitternacht schlafen gelegt, nur der älteste Sohn ging noch einen Freund besuchen. Als er zwei Stunden später wiederkam, stand die Küchentür offen und das Haus war - bis auf die Betten, in denen Eltern und Geschwister schliefen - leer. Das heißt: fast leer. Im Wohnzimmerregal stand noch die Toneulen-Sammlung. Doch die Nachtvögel waren allesamt mit dem Gesicht zur Wand gedreht worden. Seitdem bewacht eine überlebensgroße Eule Laureens Haus und schützt es erfolgreich vor abergläubischen Dieben.

Warum ist ausgerechnet Weihnachten beim Einbrechen soviel zu holen? Weil vor Weihnachten gekauft wird wie sonst nie. Nicht, daß plötzlicher Reichtum über das chronisch klamme Umtata gekommen wäre. Die Geschäfte locken die Kunden mit dem Slogan "Jetzt kaufen, erste Rate im Februar zahlen!" und bieten dazu Glitzerzauber-Deko aus der Plastikfabrik. Die Weihnachtssterne über der York Road hängen - dank wichtigerer Aufgaben für die Stadtverwaltung - noch vom letzten Jahr und müssen bloß angeknipst werden. Selbst ein Rentier-Schlitten hat sich irgendwie ins Shoppingzentrum verirrt. Daß der Styropor-Schnee auf ihm draufliegt, statt unter seinen Kufen zu leuchten, stört niemanden. Schnee ist in Umtata eben etwas, was man im Juni oder Juli mal ganz aus der Ferne an den Südhängen der Drakensberge sehen kann.

Weiße Weihnachten sind trotzdem garantiert. Denn weiß leuchtet der Strand, wenn er am 25. Dezember den Ansturm aus Umtata erwartet. Nur eine Bremer Kleinfamilie ist nicht in Badelaune und bleibt in der verlassenen Stadt zurück, um bei ihrer nadelnden Kiefer mit den weichen Wachskerzen vom Christkind zu singen und Kindergeschenke aus Luftpostpäckchen auszuwickeln.

Dirk Asendorpf

(taz-Bremen, 22.12.1997)

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