Wer nichts hat

Nachrichten aus Umtata, Teil dreizehn, oder: Haushaltslöcher und Mahnungen mit viel Verständnis

Bezahlt wird nicht. Freiwillige Ausnahmen von dieser Grundregel südafrikanischen Geschäftsgebarens erregen große Aufmerksamkeit in Umtata. Mehrere Tage hintereinander hat zum Beispiel der ANC-Vorstand von Mdantsane, dem größten Township der Region, die Titelseite der Zeitung bestimmt. Seine Mitglieder hatten angekündigt, künftig ihre Strom- und Wasserrechnungen zu bezahlen. Dreieinhalb Jahre nach dem Ende der Apartheid wurde so mit höchster politischer Autorität ein Gebührenboykott beendet, der für die Millionen BewohnerInnen schwarzer Townships jahrzehntelang selbstverständliche Form des Protests war.

So selbstverständlich, daß die neue Regierung größte Mühe hat zu erklären, warum für Strom und Wasser jetzt plötzlich bezahlt werden soll. Hat sich doch an den miesen Lebensverhältnissen in den Townships bis heute wenig geändert. Eine Umverteilung des unvorstellbaren Reichtums weniger Weißer auf die nicht weniger unvorstellbare Armut der schwarzen Mehrheit findet nicht statt. Das war eine der Bedingungen für den ausgehandelten Abgang des weißen Apartheidregimes. "Jetzt sind wir doch an der Macht", heißt es aber in den Townships, "wie können unsere Leute da den Saft abstellen, wenn wir nicht zahlen?"

So unterläßt der Stadtrat von Umtata bisher das Drohen und setzt auf Verständnis. Was allerdings dem Stadthaushalt nicht gut bekommt. Mehrere Millionen Mark Außenstände beklagt der Kämmerer, und ständig werden es mehr. Da war in diesem Jahr zum Beispiel die Umstellung der EDV. Drei Monate lang konnten deshalb keine Rechnungen geschrieben werden, und in einem Land ohne Dauerauftrag und Einzugsermächtigung zahlt ohne Rechnung niemand. Jetzt funktionieren die Computer zwar wieder, aber der Stadtrat hat Verständnis. "Den Betrag von drei Monaten dürfen wir unseren Bürgern natürlich jetzt nicht auf einen Schlag zumuten", meint der Bürgermeister. Die Stadträte nicken und ergänzen: "Das könnte sowieso niemand zahlen."

Wo die Einnahmen fehlen, müssen auch die Ausgaben zurückstehen. Zum Beispiel für die Stadtbücherei. Die wünscht sich schon lange ein Auto. Damit die Bibliothekarinnen endlich mal rauskommen aus ihrer Bibliothek, sagt deren Direktor Makhohliso, "und längst überfällige Bücher in den Schulen und von Haus zu Haus wieder einsammeln können". So ein Auto wäre gewiß eine lohnende Investition, rechnet er dem Stadtrat vor, denn die Sammelaktion würde den Ersatz für all die verschwundenen Bücher minimieren, "der der Stadt bisher jedes Jahr ein Vermögen kostet".

Voller Verständnis sind auch die Mahnbriefe für säumige Bürger Umtatas. "Entsprechend unserer Unterlagen sind Sie mit dem obengenannten Betrag im Rückstand", heißt es dort zum Beispiel, "möchten Sie verhindern, daß der Stadtrat rechtlich gegen Sie vorgeht, verabreden Sie bitte einen Gesprächstermin mit der Finanzabteilung. Dort erfahren Sie, welche Möglichkeiten der Ratenzahlung wir vereinbaren können." Woher ich das weiß, wo wir doch als wohlerzogene Gebührenzahler unsere Rechnungen stets fristgerecht begleichen? In unserem Briefkasten landet auch die Post für allerlei Vormieter, so zum Beispiel für einen gewissen Herrn Norris. An den richtete sich der freundliche Brief vom 14. Oktober 1997. Seine offene Rechnung "entsprechend unseren Unterlagen": 13.668,37 Rand, runde 5.000 Mark. Doch der Stadt kann hier leider nicht mehr geholfen werden. Herr Norris ist bereits 1995 unbekannt verzogen.

"Komme ich jetzt auch jedes Mal auf die Titelseite, wenn ich meine Stromrechnung bezahle?", fragte jüngst ein Leserbriefschreiber aus Umtata seine Lokalzeitung. Der Witzbold gehört nach eigenen Angaben zu den 7,8 Prozent Südafrikanern, die Steuern abführen. Der Rest der Bevölkerung zahle nicht. Aber warum wohl? Weil er nichts hat.

Dirk Asendorpf

(taz-Bremen, 5.1.1998)

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