Wie Sturm und Wind

Nachrichten aus Umtata, Teil neun, oder: Deutsche sind überall - und gehen sich überall aus dem Weg

Reise ans Ende von Afrika, und wen triffst Du dort? - einen Deutschen. In unserem Fall war es Frank, Schwabe und Chef der einzigen Möbelfabrik in Umtata. Bei Frank und Ludwig, seinem Hamburger Tischlermeister, haben wir uns für die prompte Belieferung mit einem Tisch, zwei Betten und vier Stühlen zu bedanken, ohne die wir nach dem Einzug in ein leeres Haus auf dem Boden gegessen, gesessen und geschlafen hätten. Bedanken dürfen wir uns auch für den damit verbundenen Verstoß gegen Franks Leitmotiv, das er uns gleich zur Begrüßung mitteilte: "Gott schütze mich vor Sturm und Wind - und Deutschen, die im Ausland sind."

Doch Deutsche sind selber wie Sturm und Wind - einfach überall. Spätestens im reichlich entlegenen Umtata, wo man die Deutschen angesichts des Fehlens jeglicher touristischer Attraktion am wenigsten erwarten würde, erweist sich die tiefe Wahrheit dieser Erkenntnis. Runde zwei dutzend Deutsche leben in Umtata, unsere eigene vierköpfige Familie mitgerechnet. Während Umtatas Griechen mit kleinen Supermärkten für den Nachschub an Joghurt und Schafskäse sorgen und Umtatas Chinesen ihre Familienkontakte nach Südostasien für den Import von Billig-Elektronik und batteriebetriebenem Plastikspielzeug nutzen, lehren allein fünf Deutsche an der lokalen University of Transkei, zwei von ihnen deutsche Sprache und Landeskunde.

Einer ihrer eifrigsten Studenten hat ein sehr persönliches Motiv: seine Freundin ist die Ostberliner Austauschstudentin Jeanette. Für zwei Semester teilen sich die beiden eines der fünf Quadratmeter kleinen Wohnheimzimmer, kochen dort zwischen ihren Büchern auf einer Elektroplatte und stehen morgens um halb sechs vor dem Gemeinschaftsbad an, um ihre Wäsche einzuweichen, bevor das warme Wasser wieder versiegt.

Doch am dichtestens ist die Ansammlung der Deutschen trotzdem nicht an der Uni, sondern in Ikhwezi Lokuza, der Missionsstation vor den Toren der Stadt. Deutsche Ordensschwestern ackern in dem üppigen Gemüsegarten des katholischen Klosters. Caritas und Brot für die Welt haben die dazugehörige Behinderteneinrichtung mitgegründet. Deren Töpferei ist übrigens der einzige Ort in Umtata, an dem Eierbecher zu kaufen sind, ein Teil des Frühstücksgedecks, das von der einheimischen Bevölkerung mit ihrer Vorliebe für fettes Spiegelei mit Speck für völlig überflüssig erachtet wird.

Eine der Nonnen ist Schwester Theodula Müller, im Hauptberuf Professorin für Religionspädagogik an Umtatas Universität. Sie hat schon in den 70er Jahren ihren deutschen Paß gegen den südafrikanischen getauscht, um die drohende Ausweisung wegen ihres Anti-Apartheid-Engagements zu verhindern. In ihrem blauen Citi-Golf mit den schnellen weißen Streifen klappert sie auf Schlaglochpisten und Eselspfaden die abgelegensten Dorfschulen der ländlichen Transkei ab, verbreitet ihre zweisprachige Grundschulfibel "God's Children - Abantwana BakaThixo" und berät verzweifelte Lehrerinnen, wie sie in ihren Klassen von 80 Schülern, die sich wegen der Raumnot unter freiem Himmel versammeln, einen lebendigen Unterricht machen können, wenn es gerade anfängt zu regnen. Eine Aufgabe, die nach Schwester Theodulas festem Glauben ruft.

"Ihr Deutschen seit komisch", findet Girshen Gengan Naicker, der südafrikanische Inder, mit dem sich meine Frau ein Büro an der Uni teilt, "wenn ich in Umtata Inder treffe, dann grüßen wir uns, fragen woher wir kommen und versprechen, uns zu besuchen. Aber wenn Ihr andere Deutsche trefft, dann guckt Ihr kaum hin und geht ihnen aus dem Weg." Der deutsche Nationalkomplex, sogar in Umtata fällt er schon auf. Was, wie wir von Frank wissen, Hilfsbereitschaft aber nicht ausschließt. Zum Beispiel zwischen mir und Manfred, den beiden Hausmännern unter Umtatas Deutschen. Wenn jeder mal auf vier statt auf zwei Kinder aufpaßt, dann hat der andere einen freien Nachmittag. Und kommt mal raus aus seiner deutschen Familie, die mit Kochen, Waschen, Spielen in Umtata ja irgendwie auch nicht viel anders funktioniert als in Bremen.

Dirk Asendorpf

(taz-Bremen, 11/1997)

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