Traumberuf Chorleiter

Nachrichten aus Umtata, Teil acht, oder: Wenn 50 Großmarkt-Angestellte morgens um halb neun den Gospel anstimmen

Angestellte des Öffentlichen Dienstes genießen auch in Umtata nicht gerade die größte Hochachtung. Krankenschwester, Supermarkt-Geschäftsführer, Autohändler, Journalist - keiner dieser Berufe bringt hier echte Anerkennung. Ungeteilte Bewunderung genießen allein die Chorleiter. Und davon gibt es in Umtata mehr als man denkt.

Zum Beispiel bei "Metro", einer der riesigen Kaufhallen, in denen sich die Landbevölkerung mit zentnerweise Maismehl, Reis und Teebeuteln eindeckt. Morgens um halb neun sind dort die zwanzig Kassen unbesetzt. Denn es probt der "Metro-Chor". Mitten zwischen den überladenen Hochregalen stimmen die Großmarkt-Angestellten ihren Xhosa-Gospel an. Aus 50 Kehlen wird der Lord gepriesen, daß das Wellblech wackelt. Der Gabelstapelfahrer steht neben dem Wachmann und schmettert den Bass, eine Kassiererin leiht dem Chor ihre Solostimme. Dazu tanzen die Hüften mit den Ellenbogen, ein Bewegungsablauf, den Umtatas berühmtester Sprößling, Nelson Mandela, als "Madiba-Jive" zu Weltruhm gebracht hat. Erst wenn das letzte Lied verklungen ist, kommt die Musik wieder allein von den Spatzen, die zu dutzenden in den langen Gängen herumzwitschern.

Umtatas Stadtwerker singen im "Escom-Chor", benannt nach der staatlichen Elektrizitätsgesellschaft, deren Name wegen der häufigen Stromausfälle normalerweise eher als Schimpfwort auftaucht. Aber als Chor steht Escom eindeutig für Qualität, gerade sind die singenden Elektriker von einer Osteuropa-Tournee zurückgekehrt. Selbst die 40 StudentInnen des örtlichen Uni-Chores standen schon in Berlin auf der Bühne.

Natürlich hat jede Kirche ihren Chor, und Kirchen gibt es viele in Umtata. Zum Beispiel bei uns um die Ecke die "Full Gospel Church of God", in der am Sonntag stundenlang der Name Programm ist. Wer dafür nicht genug Puste hat, dreht zumindest die heimische Stereoanlage auf. Egal ob ein Radiosender eingestellt ist oder der Cassettenrecorder läuft - mit Sicherheit tönt ein Gospelchor aus den Lautsprechern. Oder der Fernseher läuft. Ganztägig überträgt "Trinity TV" christliche Erweckungsveranstaltungen aus irgendeiner Stadthalle im Land. Jeden Sonntag vermengen sich all diese Gesänge zu einem tausendstimmigen Gesamtchorkonzert. Wenn das das Ohr des HERRN nicht rührt, was sonst könnte es tun.

Der Auftritt mindestens eines Schulchores ist der obligatorische Auftakt jeder politischen Veranstaltung. Spätestens nach dem dritten Gospel steigt dann die Prominenz vom Podium und swingt mit. Natürlich gehört auch die neue südafrikanische Nationalhymne "Nkosi sikelel'i Afrika" zum Pflichtprogramm. Was keineswegs ein Unglück ist, denn der hundert Jahre alte Kirchenchoral klingt dabei auch als Staatssymbol noch so frisch wie einst als Kampflied auf den Anti-Apartheid-Demonstrationen in den Townships.

Mindestens alle zwei Wochen versammeln sich Umtatas Chöre zu einem Festival im Fußballstadion, im Rathaus, in der Universitäts-Aula oder einer Kirche. Wenn dann irgendwann nach Mitternacht einer Sängerin die Knie weich werden, wird sie von aufmerksamen Helfern rasch hinter die Bühne getragen. Der Chor läßt sich davon nicht unterbrechen, und der Chorleiter bleibt im Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit. Natürlich ist er so spät in der Nacht nicht nur ein musikalisches Genie, sondern immer auch jung und schön. In der Pause vor dem nächsten Lied winken ihm die weiblichen Fans im Publikum mit verlockend klimpernden Haustürschlüsseln. Was ist schon ein deutscher Zahnarzt gegen einen Chorleiter in Umtata.

Dirk Asendorpf

(taz-Bremen, 17.10.1997)

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