Frieren in Afrika

Nachrichten aus Umtata, Teil eins

Nichts ist so kalt wie der Winter in Umtata. Findet Xoliswa und zieht sich seine Wollmütze über den Kopf. Nur für die Augen bleibt ein Schlitz, Ohren, Backen und Kinn werden wunderbar warm. Sibongile hat ihre Bettdecke mit in die Uni-Bibliothek gebracht. Dabei ist es in dem fensterlosen Betonkasten längst nicht so zugig wie in ihrem Zimmer im Studentenwohnheim. Dort hängt zwar ein vielversprechender Rippenheizkörper unter dem Fenster, allerdings führt weder ein Rohr zu ihm hin noch eines wieder weg. Geheizt wird trotzdem in den Wohnheimen - mit den Elektrokochplatten. Rotglühend strahlen sie zumindest ein Gefühl von Wärme ab.

Der Winter ist auch lang in Umtata. Wollmützen, Decken, Wintermäntel und feste Stiefel sind das ganze Jahr über in den Straßen zu sehen. Und selbst im Sommer kündigt der Wetterbericht manchmal eine antarktische Kaltfront an, mit "sehr kalten Temperaturen von acht Grad im Inland und Schneefall in den Bergen".

"Der Winter ist teuer", klagt unser Nachbar. Sobald die Abende frischer werden, treiben Heizstrahler die Stromrechnungen in die Höhe. Glücklich, wer da ein Haus mit offenem Kamin bewohnt. Denn Holz ist billig und wird in großen Plastiksäcken fertig gehackt und gebündelt am Straßenrand verkauft. Kein Wunder, daß in den besseren Vierteln fast aus jedem Dach ein Schornstein guckt. Qualmen tun sie allerdings fast nie.

"Ich habe Angst, daß mir das ganze Haus abbrennt", sagt Laureen. Einmal hatte sie nach dem Einzug ins neue Heim vorsichtig die Schornsteinklappe gelupft - und stand schon in einer Rußwolke. "Ich habe überall gefragt. In ganz Umtata gibt es keinen Schornsteinfeger", sagt sie und steckt das Kabel des Asbestheizers in die Steckdose. "In Deutschland wäre sowas bestimmt verboten", ahnt sie und hat sicher recht. Ihre Wärmequelle besteht aus einer aufrecht gestellten tischplattengroßen Asbestplatte, in die Heizfäden eingearbeitet sind. Stößt man mal dagegen, bröselt es an den Rändern.

Unser Haus ist mit deutschem Tesamoll gegen Zugluft isoliert. Im Wohnzimmer bullert ein rollbarer Gasofen mit Propangasflasche, Marke DeLonghi. Ebenfalls ein Europaimport mit Bedienungsanleitung in Italienisch und Deutsch, doch erstanden im "Umtata Gas Center", das auch für den reibungslosen Nachschub an Gasflaschen sorgt. Die sind allerdings für die meisten Einwohner Umtatas unerschwinglich teuer. Sie verfeuern deshalb höchstens Paraffin, den Kanister für eine Mark fünfzig, und gehen früh ins Bett.

Aber nichts vergeht auch so schnell wie der Winter in Umtata. Länger als ein paar Stunden dauert er selten. Jeden Mittag heizt die Sonne die bitterkalten acht Grad gerne mal auf 28 auf. Kleider werden grundsätzlich im Zwiebelsystem übereinandergezogen, damit sie bei steigender Temperatur am Vormittag schichtenweise abgeworfen und am Nachmittag umgekehrt wieder angelegt werden können.

"Ich finde, wir sollten am Wochenende lieber an den Strand als in die Berge fahren", sagt Vera, "ich bin das Frieren leid." Nach dem Bad im Indischen Ozean könnten wir auf dem Rückweg durch die verwilderte Bananenplantage laufen und Avocados pflücken. Würde gut in den Salat aus unserem Garten passen, den wir dringend essen müssen, bevor er schießt. Die Mimosen sind gerade verblüht, aber jetzt kommen die Ranunkeln, und der Pfirchsichbaum leuchtet rosa. Sag lieber nichts gegen den Winter in Umtata.

Dirk Asendorpf

(taz-Bremen, 12.8.1997)

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